Alles nur Theater
- Alessa Prochaska
- 13. Okt. 2020
- 5 Min. Lesezeit

Mein Name ist Henriette von Liechtenstein. Ich bin 74 Jahre alt und ich durfte mein Leben im wunderbaren Wien verbringen. Wissen Sie, ich schreibe eher weniger, da ich lieber telefoniere – ich habe eine schöne Sprech- und Singstimme. Generell bin ich auch sehr gegen dieses Getippe auf der Tastatur – sogenannten Tastatur. Schließlich war eine Tastatur früher noch etwas anderes. Da hat man nicht stundenlang darauf herum geklimpert. Das war harte Arbeit. Jede. Einzelne. Taste. Komplett. Durchzudrücken. Aber ich habe hier jemanden, der das Getippse für mich erledigt. Ich habe letztens erst in einer Zeitschrift gelesen, dass es wichtig ist sein Umfeld zu beschreiben. Also damit Sie sich vorstellen können, wo ich sitze während ich meine Geschichte erzähle. Ich sitze in meinem Ohrensessel. Diesen Ohrensessel (ja, ich weiß, dass das eine Wortwiederholung ist, aber das ist nun mal der korrekte Name. Klimpere weiter, Heinrich! Herrgott!) Also, ich habe diesen OHRENSESSEL schon 25 Jahre. Kann sich das heute noch jemand vorstellen? 25 Jahre – das ist eine Zeit für einen Ohrensessel. Aber machen wir weiter. Ich sitze in meinem Ohrensessel in meiner Wohnung im 19. Wiener Gemeindebezirk und trinke eine Tasse Filterkaffee. Ich werde Ihnen, auch wenn es bestimmt ein paar hoffen, nicht erzählen, was ich anhabe. (Na so weit kommt es noch.)
Was ich eigentlich hier mitteilen wollte: Ich war letzte Woche im Theater. Vor einem Jahr war das noch nichts Außergewöhnliches, wissen Sie. Aber heutzutage. Das ist ja ein Jahresereignis bei diesen Verhältnissen. Wegen diesem Virus, aber ich denke das hat nun wirklich Jeder verstanden. Dieses Thema ist, egal was Sie lesen, hören oder sehen, allenthalben. Was wir Menschen für ein Jahr hinter uns haben, das hätte sich meine Großmutter, Gott hab sie selig, ja niemals gedacht. Diese Generation hatte wissentlich ihre eigenen Probleme. Aber fürwahr man kann nur von den Problemen sprechen, die man auch wahrhaftig selber erlebt hat. Vor ein paar Jahren (JA! Ich finde, das sind essenzielle Informationen für die Leserschaft – ich weiß ja nicht mit wem ich es am anderen Ende des Papieres zu tun habe Heinrich! Ich weiß was ich tue!)
Aber ich finde es gehört sich nicht in diesem Text darüber zu diskutieren. Es soll nämlich ein netter und fröhlicher Text werden. So habe ich es mit Alessa ausgemacht. Ich habe ihr nämlich bei einem Telefonat von meinem Theaterbesuch erzählt. Sie meinte ich rede so schön – ich habe nämlich eine sehr schöne Sprech- und Singstimme und da haben wir vereinbart, dass ich ihr etwas für diesen Block erzähle (Ich sagte Blog!). Also ich erzähle meine Theatergeschichte für ihren eigenen Blog (Hörst du!) und Heinrich schreibt es auf. Ich hoffe, dass Sie sich alle dessen bewusst sind, welch harte Arbeit ich hier für Sie auf mich nehme. Aber ich wollte stets ein Buch schreiben. Es könnte den Namen tragen: „H wie ´Hat immer Recht – Henriette von Liechtenstein – Viele Worte ein Leben´“, aber das ist nur ein Entwurf. Also Heinrich klimpert und ich strenge mich hier an, damit ich die Szene des Theaterbesuchs realistisch und wahrheitsgetreu wiedergeben kann. Frischauf!
Ich liebe das Theater. Wenn Sie es nicht so sehen, dann lade ich Sie auf die Idee ein, sich selbst eine Eintrittskarte zu kaufen und zu gehen. Es zahlt sich aus! Doch bei diesem letzten Besuch war ich selbst auch eine Portion aufgeregt. Ein wenig wie bei meinem ersten Besuch. Nette und höfliche Damen haben uns beim Eingang empfangen. (Ja, ich wollte soeben erklären, wer „wir“ ist – nicht einmal kannst du mich aussprechen lassen!) Sie fragen sich jetzt bestimmt, weshalb ich hier „uns“ verwende. Ich war mit meiner besten Freundin im Theater. Wir sehen uns ja jetzt leider weniger, weil unsere Enkelkinder uns das so sagen. „Triff dich nicht mit Elisabeth nur wegen einem Glas Wein.“ Sagen sie. Sie meinen auch, dass eine Tasse Kaffee diesen Ansprüchen nicht gerecht wird. Aber anscheinend ist ihnen, was mich schon ein wenig überrascht, die Kultur ein Anliegen. Also dürfen wir mit Maske und Desinfektionsmittelchen ins Theater gehen. (Na blöd werde ich nun sein und erzählen, dass wir sowohl davor als auch danach einen Wein trinken. Die Kinder kommen uns da ja niemals drauf. Im Internet schauen sie alles nach. Aber nicht die echten Anfangs- und Endzeiten. Herrlich.) Und da wir das stets kurz halten und uns nur kurz sehen, durften wir also gehen.
Es war gar nicht so viel anders als ich dachte. Eine Sache war, dass man neben jeder Gruppe einen Platz frei lassen musste. Also verstehen Sie, es saß ein sehr nettes Ehepaar in unserer Reihe. Dann wurde ein Platz frei gelassen. Dann saß Elisabeth neben diesen frei gehaltenen Platz und neben Elisabeth saß ich und neben mir war wieder ein Platz frei und erst nach diesem frei gehaltenen Platz saß wieder eine Gruppe von drei Personen. Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, ob die auch nett waren, da ich kein Gespräch mit denen geführt habe. Diese sogenannten Theaterbesucher haben nach KEINEM EINZIGEN Lied geklatscht. Mit denen möchte ich mich gar nicht unterhalten. Nicht einmal über das Wetter. Was ich an dieser Stelle vergessen habe: Man musste die ganze Zeit die Maske tragen. Erst wenn man am Platz gesessen ist, durfte man sie herunter geben. (Das hätte ich als nächstes gesagt! Nicht einmal aussprechen kann man, wenn du im Raum bist. Ich bin dir natürlich dankbar, dass du meine, ich wiederhole, meine wunderbare Geschichte in einfache Buchstaben umwandelst. Welch Talent. Was? Ich habe die Augen nicht verdreht!) Es wurde aber im ganzen Theater immer durchgesagt, dass man sie, ja die Maske, aufbehalten sollte. Wie ich diese Entscheidung getroffen habe, das behalte ich nun für mich. Ich nenne es „das neue Wahlgeheimnis“. Ich habe eine Option von beiden gewählt, aber ich werde Ihnen nicht verraten welche. (Siehst du, so erzählt man Geschichten, Heinrich.)
Wir haben uns PIAF angesehen. Ich gehe davon aus, dass jeder diese großartige Frau kennt.
Édith Piaf war eine Naturgewalt. Tragisches Leben. Aber wenn man wirklich leben will, gehört auch eine Prise Tragödie dazu. Menschen klatschen einen, bevor sie klatschen. Das muss man verstehen, wenn man großjährig werden möchte und ein wenig im Rampenlicht stehen will. Elisabeth und ich saßen also auf unseren Plätzen und lauschten dem französischen Engelsgesang. Und wissen Sie, warum diese Theater Eintrittskarten jeden Schillig (Ja, ich hätte mich doch in dieser Sekunde korrigiert. Entschuldige, ich beginne von vorne und richtig.) Und wissen Sie, warum diese Theater Eintrittskarten jeden Euro wert sind? Draußen kann ein Virus wüten, Wahlen unsere Nerven strapazieren und der Hass die Menschheit durchnässen. Aber in diesem Moment, wenn die letzte Szene gespielt ist. Dann lässt sich aus der Atmosphäre fast schon Strom gewinnen. Alle standen auf und klatschen aus voller Überzeugung. Sie klatschten das Desinfektionsmittel von jedem Finger. Die Tränen der Begeisterung schmeckten trotz Maske salzig im Mund. Das unsichtbare Lachen der Leichtigkeit konnte man durch den Stoff spüren.
Man kann sich wirklich viel nehmen lassen. Doch diese Momente sind unbezahlbar. Ich habe schon einige Jahre auf dieser wundervollen Welt erleben dürfen. Gestern war meist schöner als man es in Erinnerung hat und morgen wird es meist nicht so schlimm wie man es sich denkt. Aber das heute ist das was zählt. (ich weiß, jetzt bist du von meiner Tiefsinnigkeit überrascht. Hättest du auch, wenn du nicht nur Fußball und diese Werbeeinschaltungen schauen würdest.)
Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen und Ihnen sagen, dass es sich lohnt. Alles lohnt sich. Vielleicht nicht jetzt und auch nicht morgen, aber vielleicht übermorgen.
So. Ich beende nun diese Geschichte, denn ich habe auch noch Wichtigeres zu tun. Auf Wiedersehen. (Ich weiß, dass ich meine Leserschaft nicht sehen kann. Deine Wortspenden sind manchmal fürchterlich. Dann streich das einfach! Ich beginne erneut. Hör zu!)
Haben Sie einen wunderschönen Tag und auf ein Wiederwort.
(Wiederwort. Ich bin wirklich ein Schlawiner.)
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